Peer-to-Peer Learning am Arbeitsplatz in 5 Schritten

08.12.2020
Kerstin Boll
Inhalt

In Zeiten der Digitalisierung hat das Lernen für Unternehmen eine völlig neue Bedeutung bekommen. Um Beschäftigungsfähigkeit und nachhaltige Personalarbeit zu ermöglichen, müssen Personalverantwortliche vor allem das lebenslange Lernen fördern. Doch wie funktioniert digitales Lernen im Unternehmen und wie kann es die Effektivität und Nachhaltigkeit der Personalentwicklung unterstützen? In diesem Beitrag werfen wir einen genaueren Blick auf Peer-to-Peer Learning, ein kollaboratives Lernmodell. Peer-to-Peer Learning bedeutet Lernen auf gleicher Augenhöhe. Die Mitarbeitenden eines Unternehmens lernen voneinander und bilden sich gegenseitig weiter. Auf diese Weise fördert Peer-to-Peer Learning lebenslanges Lernen sowie eine effektive und nachhaltige Weiterentwicklung für alle Mitarbeitenden.

Was ist Peer-to-Peer Learning?

Was Peer-to-Peer Learning ist, lässt sich so leicht nicht sagen. Die Literatur präsentiert einen ganzen Begriffsdschungel: Peer-Learning, Peer-Education, P2P-Education and Learning, Peer-Support, Peer-Counseling, Peer-Mediation, Peer-Helping, Peer to Peer Learning und so weiter und so fort.

Über alle Variationen hinweg werden die folgenden Eigenschaften immer wieder genannt:

Lernen unter Gleichen

Peer-to-Peer Learning bricht mit alten Bildern vom Lernen nach dem Motto: "Der Trainer oder die Trainerin stehen vorne, die Mitarbeitenden hören zu." Stattdessen gilt: "Lernen miteinander und voneinander". Jeder und jede Beteiligte ist aufgefordert, sich zu engagieren, die Rolle des Wissensgebers temporär einzunehmen – und wieder zu verlassen.

Verschiedene Settings sind denkbar:

  • Freiwilliges und selbstgesteuertes Lernen: Beispielhaft umgesetzt bei YouTube, Barcamps oder in selbstgesteuerten Gruppen wie Learning out Loud.

  • Lernen von Multiplikator:innen: Der oder die Multiplikator:in hat Zugang zur Lerngruppe durch eine Gemeinsamkeit wie etwa einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund, eine gemeinsame Erfahrung, Sprache o.ä.

  • Peers als "Transmissionsriemen": In speziellen Situationen fehlt dem Trainer oder der Trainerin oft die Glaubwürdigkeit bei der Zielgruppe. Die Bedeutung eines Peers ist dort die des Transmissionsriemens.

Aufgabenorientiertes Lernen

Bereits 1916 schrieb John Dewey in "Demokratie und Bildung", dass "Wissen durch Erfahrung geschaffen wird und nicht durch Auswendiglernen weitergegeben wird." Diesen Gedanken finden wir heute in Formulierungen wie "bedeutungsorientierter statt reproduktionsorientierter Lernstil".

Dieses "gemeinsame Lernen am echten Problem" kann in der Praxis so aussehen: Mitarbeitende tauschen sich mit Kolleg:innen über schwierige und kontroverse Themen aus.

"All genuine education comes about through experience."
"Education is not an affair of 'telling' and being told, but an active and constructive process."

(John Dewey, US-amerikanischer Philosoph und Pädagoge)

Lernen als aktiver Prozess

Peer Learning lebt davon, dass sich alle Beteiligten engagieren und Verantwortung für den gemeinsamen Lernerfolg tragen. Die Interaktion in der Gruppe ist ein Kernelement des Peer-to-Peer Learnings.

Warum ist Peer-to-Peer Learning wichtig?

In der Wissensgesellschaft trägt einmal erlerntes Wissen nicht mehr weit. Wir leben vielmehr davon, laufend neue, unbekannte Probleme zu lösen. Lebenslanges Lernen ist das Schlagwort dazu. Es gilt, entsprechende Kompetenzen aufzubauen und Eigenschaften zu pflegen, darunter:

Peer-to-Peer Learning fördert dieses Set an Kompetenzen.

  • Es eröffnet einen Zugang zum Wissen und der Expertise der Mitglieder einer Organisation.

  • Es ist kostengünstig und kann von jeder Organisation umgesetzt werden

  • Es fördert zugleich soziale Kompetenzen, Kommunikation sowie die interne Vernetzung.

In der Praxis erweist sich Peer-to-Peer Learning als effizientes Mittel der Personalentwicklung. Es ist zugleich naheliegend, angesichts einer neuen Aufgabe das Wissen der Kolleg:innen zusammenzutragen und miteinander zu sprechen.

Ist Peer-to-Peer Learning effektiv?

Maureen O'Neil, damals Präsidentin des internationalen Entwicklungsforschungszentrums Kanada erklärt in einem Vorwort:


Our experience has proven that this is an efficient way to transmit knowledge across a wide range of groups or regions. Peer learning, based on jointly generated evidence, is also an effective means to build capacity and foster scientific excellence. The body of knowledge it generates is a powerful tool for the development of evidencebased policy."

70/20/10-Modell

Einen Hinweis auf das Potenzial des kooperativen Lernens oder Peer Learning für die Personalentwicklung gibt das 70/20/10-Modell. Danach lernen Menschen zu:

  • 70 Prozent Erfahrung und Praxis während der Ausübung der Tätigkeit.

  • 20 Prozent durch andere Menschen, Kolleg:innen, durch Vernetzung.

  • 10 Prozent durch formelle Bildung.

Wie führt man erfolgreich Peer-to-Peer Learning ein?

Peer Learning kann scheitern, wenn die Beteiligten Halbwissen weitertragen oder aus Gewohnheit die Rolle eines Lehrers oder Lehrerin einnehmen. Wir empfehlen in Anlehnung an Kelly Palmer, Chief Learning and Talent Officer,  die folgenden Schritte für ein erfolgreiches Peer-Learning-Projekt:

1. Moderator:in ernennen

Ein Peer-Learning-Projekt profitiert von einem festen Ansprechpartner. Wo sich niemand verantwortlich fühlt, zerfällt es rasch. Der Moderator oder die Moderatorin fungiert als feste Adresse für Fragen und hält die Gruppe zusammen. Er oder sie sollte sich als Prozess- und Dialogbegleiter (Facilitator) verstehen.

Die Struktur ist beim Peer Learning eher horizontal als hierarchisch. Dennoch ist es wichtig, dass eine neutrale Partei, nicht der oder die Teamleiter:in, die Maßnahme unterstützt, damit sie auf Kurs bleibt. Diese Person hat idealerweise Erfahrung als Moderator:in. Sie sollte Sessions organisieren, alle auf dem Laufenden halten, Gespräche vorantreiben und eine positive Atmosphäre aufrechterhalten, in der die Teilnehmenden lernen und Fragen stellen können.

2. Eine sichere Lernumgebung schaffen

Das Projekt sollte nicht von Vorgesetzten geleitet oder gesteuert werden. Die Augenhöhe ist wichtig für die offene Diskussion. Jeder und jede sollte sich mit Fragen, Ideen und Wissen einbringen können, ohne sich befangen zu fühlen.

Peer Learning funktioniert nur, wenn sich die Teilnehmenden sicher genug fühlen, um ihre Gedanken, Erfahrungen und Fragen mitzuteilen. Sie müssen offen und empathisch genug sein, um konstruktiven Input anzunehmen, und auch den Mut haben, ehrliches Feedback zu geben.

Um ein sicheres Umfeld zu schaffen, legen Sie Grundregeln fest. Einige Vorschläge: Die Vertraulichkeit muss gewahrt werden; Feedback sollte als großzügige Geste verstanden werden, die immer mit Dankbarkeit beantwortet werden sollte; die Teilnehmenden sollten Empathie üben und sich in die Lage der anderen versetzen; und die Teilnehmer sollten niemals verspottet oder in Verlegenheit gebracht werden, weil sie sich vor Gleichaltrigen geäußert haben.

3. Sich auf realitätsnahe Situationen konzentrieren

Wenn möglich, sollten sich die Sessions auf echte Probleme konzentrieren, die es zu lösen gilt. Menschen sind eher bereit, sich zu beteiligen, zu lernen und sich neue Kompetenzen anzueignen, wenn diese zur Bewältigung einer konkreten Herausforderung nötig sind.

4. Methoden ausprobieren und variieren

Peer Learning ist an keine Methode gebunden.  Wenn die gemeinsame Diskussion ergibt, dass ein klassischer Kurs oder ein Seminar das Richtige ist, dann ist das der nächste Schritt. Am wirkungsvollsten erweist sich meist ein Mix aus formellen und informellen Veranstaltungen, Training on the Job, Mentoring und Coaching oder auch Selbstlernen mit Diskussion der Ergebnisse in der Gruppe.

5. Networking fördern

Damit das Projekt starten kann, müssen die Mitarbeitenden in Kontakt miteinander treten können. Das Unternehmen ist aufgefordert, entsprechende Möglichkeiten zum Social Learning zu schaffen.

Dabei hilft es, soziale Lernnetzwerke aufzubauen und Networking Events zu organisieren, bei denen Menschen ihr Fachgebiet diskutieren können. Sie sollten Lerngruppen einrichten, die sich regelmäßig treffen, um Ideen zu diskutieren. Einige Organisationen bauen unternehmensweite Kampagnen auf, um alle Beteiligten einzubeziehen.

Eine gut konzipierte Peer-to-Peer-Maßnahme ist eine wertvolle Ergänzung zu traditionelleren Weiterbildungsmaßnahmen. Ihr Team wird nachhaltig Kompetenzen entwickeln und Beziehungen aufbauen, die es den Mitarbeitenden ermöglichen, die erlernten Fähigkeiten in die tägliche Arbeit einzubringen.

Feedback unter Kolleg:innen – Peer-to-Peer Learning on Top Level

In der Diskussion um die Kompetenzentwicklung führt das Feedback meist ein Schattendasein. Viel zu sehr ist es mit der Vorstellung von Kritik und Zurechtweisung verbunden. Dabei ist dieser Blick zu eng: Feedback kann auch positiv sein und es hilft, das eigene Denken und Handeln einzuordnen und zu verbessern.

Doch ob bestätigend oder nicht: Kooperatives Lernen ohne gegenseitige Rückmeldungen ist kaum vorstellbar. Umso wichtiger ist es, ein möglicherweise verzerrtes Bild zu berichtigen und einen konstruktiven, zugewandten Kommunikationsstil zu üben. Mit einigen bewährten Tipps gelingt Ihnen das Feedback unter Kollegen und Sie etablieren eine positive Feedbackkultur.

Quellen:

https://de.qaz.wiki/wiki/Peer_learning
O'Neil, Maureen in: Power of peer learning: networks and development cooperation.

https://hbr.org/2018/11/how-to-help-your-employees-learn-from-each-other

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