Welche agilen Kompetenzen Unternehmen brauchen

Agilität und digitale Kompetenzen
09.11.2017
Wolfgang Hanfstein
Businesskompetenz
Inhalt

Wir sind auf vielen Ebenen im Gespräch mit Personalentwicklern und HR-Professionals. Die beherrschenden Themen in den letzten Monaten waren, wen wundert's, Agilität und digitale Kompetenz. Das Erstaunliche dabei: Trotz der vielen Beiträge zu diesen Themen auf Kongressen, Messen, Fachzeitschriften und natürlich in den sozialen Medien herrscht eine große Unsicherheit darüber, was Agilität eigentlich bedeutet und was unter agilen Kompetenzen zu verstehen sei. Diese Erfahrung machen viele Personaler auch, wenn sie wiederum ihre Auftraggeber fragen, was genau sie unter Agilität, bzw. einem agilen Mindset verstehen. Und fast zwangsläufig fallen dann noch die Begriffe Scrum und Kanban. Für uns ein guter Anlass, den Begriffen auf den Grund zu gehen.

Was bedeutet Agilität im Managementkontext?

Ein Gutteil der Verwirrung über die Bedeutung des Begriffs „Agilität“ kommt daher, dass er meist mit dem „agilen Manifest“ verknüpft wird. Beim „agilen Manifest“ handelt sich um ein schon fast 20 Jahre altes Dokument aus der Softwareentwicklung. Ziel des Manifests war es, Software-Entwickler stärker an die Realität zu koppeln, sie also für die Bedürfnisse ihrer Auftraggeber zu sensibilisieren. Im Prinzip eine Entwicklung, die in der Konsumgüterindustrie lange zuvor im Gang war: Es geht nicht um das Produkt, es geht um den Nutzen. Das Problem der Softwareentwickler war es, Aufträge abzuarbeiten, um am Ende festzustellen, dass die Kunden was ganz anderes brauchten. Mit dem „agilen Manifest“ wurde dieser Missstand öffentlich gemacht. Schnell wurde damit klar, dass es sich nicht um das Problem einzelner, sondern um das Problem einer ganzen Branche handelte. Und diese Branche war so pfiffig, für das Problem auch eine Lösung zu finden. Und diese Lösung hieß „Scrum“. Scrum war und ist eine Projektmanagementmethode, mit der Softwareentwickler von Beginn an systematisch Feedbackschleifen einbauten. Scrum stellt sicher, dass jeder weiß, woran die anderen gerade arbeiten. Scrum stellt auch sicher, dass man Entwicklungen schnell ändern oder stoppen kann, wenn sie in die falsche Richtung gehen. Die Methode ist sehr ausgefeilt, es gibt spezielle Bezeichnungen und Jobs (Scrum Master, Project Owner) und sehr klar definierte Zeitrahmen (Sprints). Kanban wiederum, aber das nur am Rande, ist ein Projektmanagement-Tool, das in diesem Kontext gern genutzt wird. Es kommt aus dem Japanischen und ermöglicht recht einfach die Visualisierung von Prozessabläufen. Knapp dargestellt werden einzelne Arbeitsschritte auf Karten geschrieben und diese dann auf einem Board von links nach rechts verschoben: Vom Feld „Zu tun“ auf das Feld „In Arbeit“ und von da auf das Feld „Erledigt“. Diese Methode ist Grundlage vieler Online-Projektmanagement-Tools wie zum Beispiel asana.com.

Bringt uns das agile Manifest weiter?

Ich schreibe das so ausführlich, weil es mir wichtig erscheint, diesen Hintergrund zu kennen. Und um zu zeigen, dass das „agile Manifest“ keine Allgemeinvorlage für die agile Gestaltung von Unternehmensprozessen sein kann. Natürlich können auch Branchen und Teams jenseits der Softwareentwicklung von den Erkenntnissen profitieren, die das „agile Manifest“ ausgelöst hat. Aber da die Softwareentwicklung ganz eigene Anforderungen hat und eigenen Logiken gehorcht, ist es wichtig zu prüfen, ob diese Logiken auch dem eigenen Business zugrunde liegen. Kann die Personalentwicklung Scrum-Methoden nutzen? Sind sie für den Versicherungsvertrieb sinnvoll? Für die Entwicklung neuer Solarzellen? Oder für das Management von Krankenhäusern? Wenn heute von Agilität die Rede ist, dann geht es in der Regel um mehr. Es geht um die Erfahrung, dass sich die Rahmenbedingungen für unternehmerischen Erfolg immer schneller ändern. Und zwar in allen Bereichen der Unternehmen. Und auf diese sich immer schneller ändernden Rahmenbedingungen scheinen agile, also bewegliche Prozesse eine gute Antwort zu sein. Daraus ergibt sich eine umfassendere Definition von Agilität:

"Agilität" beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen.

Die VUCA-Welt erfordert agile Unternehmen

An diesem Punkt kommt VUCA ins Spiel. Mit dem Akronym aus den Begriffen Volatility, Uncertainity, Complexity und Ambiguity beschrieben erstmals US-amerikanische Militärs eine Welt, die nicht mehr wie im Kalten Krieg aus fast eingefrorenen Blöcken bestand. Plötzlich waren bis dato erfolgversprechende Strategien nutzlos. Man sah sich nicht mehr der Roten Armee gegenüber, sondern kleinen Gruppen oder gar Einzelnen, die in der Lage waren, die ganze Menschheit zu terrorisieren. Es ging nicht mehr nur um riesige Panzerreihen und Raketenabwehrsysteme, sondern auch um Gruppen, die sich irgendwo in Höhlen verschanzten und gleichzeitig weltweit vernetzt agierten. Die Militärs brauchten völlig neue Strategien, um sich gegen diese Bedrohungen aus der VUCA-Welt zu wappnen. Die Antwort waren und sind kleine, agile Teams.

der U.S. Army dazu mit dem Claim: „Networked. Mobile. Lethal.“ Immerhin gut zu wissen, woher die Konzepte kommen, die derzeit in aller Munde sind. Den Hinweis darauf habe ich übrigens aus dem Buch "Agiles Lernen".

Auch in den Unternehmen funktionierten die klassischen Strategien immer weniger. Und seit den 90er Jahren, als der Begriff VUCA entstand, haben Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit noch zugenommen. Die Geschichten sind bekannt: Wikipedia hat sämtliche Lexikonverlage der Welt mit einem erstklassigen und kostenlosen Produkt in den Ruin getrieben. Kodak brachte zwar die erste Digitalkamera auf den Markt, erstickte aber doch an den überflüssigen Analog-Kapazitäten. Indien, lange der Billigproduzent für den Westen, exportiert heute „Kopfarbeit“. Die Treiber dieser Entwicklung sind schnell ausgemacht. Sie heißen „Globalisierung“, „Digitalisierung“ und, damit verbunden, „Schnelligkeit“. Und bei diesen drei Punkten muss die Kompetenzentwicklung ansetzen, die das agile und damit nachhaltig erfolgreiche Unternehmen zum Ziel hat.

„Globale Kompetenz“ als Voraussetzung für agile Unternehmen

Global kompetent, also handlungsfähig, ist ein Unternehmen dann, wenn seine Mitarbeitenden in der Lage sind interkulturell und multisprachlich kommunizieren zu können. Und wenn sie in der Lage sind, globale Marktentwicklungen zu kennen, zu analysieren und vorwegzunehmen. Grob operationalisiert ergeben sich daraus die Kompetenzfelder:

  • Menschen anderer Kulturen „verstehen“ und wertschätzen können (Interkulturalität)

  • Unterschiedliche Lebenskonzepte, Lebensentwürfe und Lebensumstände kennen und wertschätzen (Diversity)

  • Die Fähigkeit, in der Sprache der Businesspartner zu kommunizieren und Englisch als Basissprache der Businesswelt zu beherrschen

  • Globale Zusammenhänge im Hinblick auf das Produkt oder die Dienstleistung des Unternehmens verstehen

Digitale Kompetenz als Voraussetzung für agile Unternehmen

Digitale Kompetenz muss für unterschiedliche Kontexte unterschiedlich gefasst werden. In Bezug auf die agile Gestaltung von Unternehmen, also in Bezug auf den Unternehmenserfolg in einer VUCA-Welt ist ein ganzes Set digitaler Kompetenzen erforderlich (Ich weiß, dass die Puristen gerne nur von „Digitaler Kompetenz“ sprechen und nicht von „digitalen Kompetenzen“. Für die Personalentwicklung ist aber die feingliederige Operationalisierung wichtig). Die wesentlichen Kompetenzfelder sind:

  • Souveräner Umgang mit Consumer Electronics und Consumer Plattformen. Nur wenn die Mitarbeiter die (digitale) Welt der Kunden kennen, sind sie in der Lage, adäquat zu reagieren und vorausschauend zu agieren

  • Souveräner Umgang mit der unternehmenseigenen IT-Infrastruktur vom Drucker bis zum Social Intranet

  • Offenheit für sich ständig verändernde Software

  • Die Bedeutung von Datensicherheit und Datenschutz kennen und konform handeln

  • Die Bedeutung des Copyrights kennen und entsprechend handeln

Schnelligkeit als Voraussetzung für agile Unternehmen

Schneller sein als der Wettbewerb ist eine Kompetenz, die in kaum einer Kompetenzmap auftaucht, die aber eine der entscheidenden Kompetenzen in der VUCA Welt ist. Es ist eine Kompetenz, die sich entwickeln lässt. Wesentliche Kompetenzfelder sind:

  • Beschleunigungspotentiale erkennen und umsetzen. Dazu gehört die Standardisierung von Prozessen ebenso wie die Verkürzung von Entscheidungs- und Genehmigungsprozessen oder die Dezentralisierung von Verantwortungsbereichen. Es geht darum, schnell auf Nachfrageschwankungen reagieren zu können, neue Märkte schneller zu bedienen und untaugliche Prozesse schneller zu beenden.

  • Die Mitbewerber kennen und erkennen, wenn neue Mitbewerber auftauchen. Permanentes Benchmarking. In Kompetenzdeutsch: "kennt die Wettbewerber, kennt die relevanten Medien, kennt die Entwicklungen der Branche …"

Das agile Unternehmen

Wenn die Mitarbeitenden in diesen drei Kompetenzfeldern fit sind, wird das Unternehmen in der Lage sein, schnell, kreativ und zuverlässig auf die Herausforderungen der VUCA Welt zu reagieren. Und es wird in der Lage sein, schneller als der Wettbewerb zu agieren und neue Chancen zu kreieren. Es wird ein „agiles Unternehmen“ sein.

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